EINS ZU EINIG FADDERLAND


Bücher haben ihre Geschichte, nur gerät sie oft in den Schatten dessen, der sie schrieb. Manche sind erschienen, weil der Autor sie bezahlt hat. Wie "Der Mann ohne Eigenschaften" von Musil. Die erste Auflage zog Dutzende nach sich, fast im Schneeballprinzip. Andere, kurz nach der Wende mit Steuergeldern finanziert oder gar von kunstfreundlicher Westverwandtschaft, fanden nicht über Vertriebssysteme, sondern über andere Wege zum Leser und das hier zu beschreibende "Orte und Worte" von Radjo Monk, ausnahmsweise nicht fernfinanziert, schien, im Gegensatz zum Kolosseum auf dem Titelbild, dem alsbaldigen Untergang gewidmet. Die Verleger hatten sich nicht nur bei dieser Produktion mit dem Verkaufspreis verkalkuliert (24 DM für 109 Seiten - abgesprochen war mit dem Autor 16 DM als preisliche Schmerzgrenze und zwar mit Fotos, die dann entfielen), sondern mit dem ganzen Unternehmen, das bald pleite ging und von einem der Teilhaber neu gegründet wurde. Die Restauflage von 1476 Exemplaren (von 1660) wurde dem Autor für 2 DM pro Stück angeboten und zwar kurz vorm Konkurs nach dem Motto: Alles oder alles in den Schredder! Daß jetzt, fünf Jahre danach, noch Rezentionsexemplare zu erhalten sind, ist dazu ein Rätsel. Denn lesen läßt sich Monks Lyrik. Ich dachte an Zeiten, als ich Gedichte hintereinander weglas wie von Ginsberg, Bukowski, Brinkmann oder Wondratschek.

Die Texte entstanden zwischen `86 und `91. Monk war unterwegs zwischen Rom, Wivenhoe und Bremerhaven und ist sich seitdem "nicht ganz sicher" ob er "ein Gladiator" ist, "kämpfend mit" sich "selbst/ unter dem Daumen der eignen Geschichte". Er vermischt den banalen Augenblick mit den marmornen Säulen der Vergangenheit, denn jede "Stunde ist für" ihn "eine Zwischenzeit". "Der Preis für den Aufbruch ist die Preisgabe/ aller Erinnerungen", formulierte er damals und "niemand/ erwartet unsere Rückkehr ins Einkochglas Leipzig". Monk ist immer mittendrin, er beschreibt ungeschminkt, authentisch. Kein Bild ist zu trivial, keins zu pathetisch, wenn "Auferstehung punkt um/ Zwölf" ist und "Jesus entrollt ein Endlosband aus/ Löschpapier, zu tilgen Schuld und Schein". Durch seine Texte geht man wie "durch ein Gleichnis ohne Ölzweig ... ohne Ende/ die Einbahnstraße der Hoffnung". In alles mischt er Skepsis und Kosmos und "nichts erwartend, nichts hoffend, nichts glaubend" befindet er sich "jenseits der Verneinung". Das macht die Texte spannend und plastisch, wenn man sich in sie begibt. In dieser Zeit, wo sich alles und jeder veränderte, fragte er: "wie oft muß sich jemand wandeln/ um einmal nur im Selbst zu sein". Die Ideologen sieht er als "Prozession schwuler Juden/ & ödipaler Kommunisten &/ inzestuöser Nazis & allen voran/ die Superclowns/ vom Staatszirkus Demokratie" über den Tiber schreiten, während die Männer daheim "in der Gartenlauben ... saufen & singen walleri wallera der Valuta ist da". "O eins zu einig Fadderland, verfüttert an die Gartenzwerge" - starker Tobak, Sprachwut oder inszenierte Hilflosigkeit? Aber "wer hat schon ... Erleuchtung nötig/ solange die Notstromaggregate funktionieren?".


Radjo Monk, "Orte & Worte", Verlag Weißer Stein 1992, Uhlandstraße 1c, Greiz. Restexemplare, keine Preisbindung mehr

Wie ich im Nachhinein vom Verleger selbst erfuhr, ist der Verlag Konkurs gegangen, der Verlagsinhaber bis über beide Ohren verschuldet.


Dieter Kalka

 

 

 

 

 

 

 

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