Rede zur Eröffnung des Erik-Rothe-Museums Chemnitz




Eric Rothe ist wie Christoph Hein, der, bevor ein einziges Buch von ihm erschien, daran dachte, gleich sein Gesamtwerk herauszugeben.

In seinen Skulpturen häufen sich Luckazismen wie unverhandelbare Materie, verwobene Zerstörungen & Zwillingsebenen im aufgeladenen elektrischen Feld zwischen Surrealismus und Arte povera.

Natürlich gehört er zu den ernsthaften Arbeitern in Sachen Kunst, die nicht wissen, wann sie aufhören sollen, sich selbst zu belächeln. Wie kann man sonst auf die Idee kommen, aus Klo- oder Zahnbürsten anthropologische Skulpturen zu basteln, die die Geschichte unserer Menschwerdung aus einem alltäglichen Blickwinkel erzählen. Das ist so, als würde man auf die Idee kommen, „Negermusik“ in Philharmonien spielen zu lassen. Als Alan Lomax vor siebzig Jahren genau das tat, war allerdings der Stern der alten Bluesgrößen im Sinken und die profiliertesten Vertreter waren inzwischen so alt, daß man sie auf die Bühne tragen mußte.

Rothe weiß das. Aus diesem Grund eröffnet er ein Museum, bevor die Bürsten durch von ihm implantierte Holzwürmer zerfressen sind. Das eröffnet eine Dimension biologischer Halbwertszeit.

So haben wenigstens Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kunstkenner es gesehen, sozusagen als Zeugen Rothes, der sich gestern noch Jehova nannte. Noch sind wir versammelt in diesem Tempel, solange kein neuer Investor auf den Plan tritt.

Was soll man zu diesen Mach-Werken auch sagen? Kaufen kann man sie nicht, weil er sie nicht hergibt. Verstehen kann man sie nicht, weil er sie nicht erklärt. Und stehlen sollte man sie nicht, weil man sie dann nicht mehr los wird. Aber anschauen wäre möglich. Nicht mit der biederen Ehrfurcht des Unterlegenen oder der sterilen Voreingenommenheit eines Kenners, sondern mit der Neugierde eines Greises oder der Weisheit des Kindes.

Rothe lötet schraubt leimt und wachst, was so nicht zusammengehört. So entstehen Dinge von schauderhafter Schönheit, willenloser Eleganz & mathematischer Religiosität. Es ist nicht die Verweigerung, es ist die eingefangene Ewigkeit des Augenblickes, wenn aus einem Wasserhahn ein Plastik-Strahl hervorquillt, der die Zeit überdauert. Es ist die Banalisierung des Erhabenen & die Erhöhung des Alltäglichen, wenn Rothe im Abendmahl das Mahl des Abends & das Gelage der Zwölf plus Eins gestaltet. Es ist die Entwertung des Geldes, wenn er mit einem Korb gebündelter Blüten auffordert, nur einen Packen einzustecken. Sozusagen eine Kasse der Vertrauens, nur das zu nehmen, was man wirklich braucht.

Rothe zeigt, wie alle Schalks, die Weisheit des Unsinns & den Unsinn scheinbarer Weisheiten. Stellen wir uns also heute auf den Kopf & gehen mit beiden Händen durchs Leben. Durch diese Räume. Und wenn es dann soweit sein sollte, daß jemand ungefragt den Lichtschalter betätigt und es plötzlich Nacht wird, wo Sub- & Objekt die Plätze tauschen, befinden wir uns inmitten einer Realität, die uns Rothe untergejubelt hat, weil wir sie schon so lange verloren haben.

Wenn es dann so weit gekommen ist, werde ich reuig das von Rothe genähte Büßerhemd eines Kunstkritikers überstreifen und bis zum Morgen in der mir zugewiesenen Vitrine Platz nehmen.


Dieter Kalka


Leipzig, sechszehn Jahre nach dem Mauerfall

 

 

 

 

 

 

 

 

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