Orfeus-Lesung in Zgorszelec mit Barbara Frank, Marek Sniecinski, Bettina Wöhrmann, Bohdan Kos, Renata Maria Niemierowska, Peter Gehrisch, Dieter Kalka, Urszula Benka, Waldemar Okon und Gert Neumann (vl nr), Link zum Wikipedia-Eintrag

 

Orpheus - der abgetriebene Sänger


I

Nach dem Zusammenbruch und den Veränderungen Anfang der 90er beschäftigte ich mich mit Mythen. Mein Leben, so deutete ich es, bekam eine zweite Chance. Mythen berichten von den Anfängen des Lebens, vom Werden der Völker. Ich begann die Welt für mich selbst neu zu erschaffen - mit der Nachdichtung eines tibetischen Schöpfungsliedes. Mein Urvertrauen war weitestgehend zerstört - mit diesem Text schuf ich mir selbst eine Grundlage.

Im Vergleich zu den slawischen Völkern, wo die alten Geschichten vor einem Jahrtausend untergegangen sind und nur noch einige Götternamen wie Relikte erhalten blieben, hat der Isländer Snorri unserem Kulturkreis durch die Niederschrift der mythischen Texte das Wichtigste erhalten.

Wie Peter Rohland in den 50ern und zwanzig Jahre später die Folkszene einen Neuanfang im Volkslied/Folksong wagten, so ist es längst an der Zeit, sich unserem kollektiven Bewußtsein, das in den Mythen verborgen ist, zu nähern. Zum Thema Dichtung ist dort einiges zu finden.

Nachdem ich über zehn Jahre gesungen habe, habe ich seit dem Mauerfall etwas anderes geschrieben als Lieder: Gedichte, Prosa, Stücke. Ob nun durch die Beschäftigung mit dem Orpheus-Thema oder, weil die Schwingung des Gesanges wiederkehrt, schreibe ich seit einigen Wochen Lieder, die ich zuerst für mich und manche auch schon für andere singe.

In der Orpheus-Geschichte fand ich mich wieder - mit meinen Irrungen, Sehn-Süchten, ich fand dort die Natur-Kräfte, die den Gesang hervorbringen, beschrieben. Immer war ich beides: Sänger und Dichter. Wenn auch stets eins überwog. Immer stand ich zwischen beiden. Auf einer Seite, die auf die andere herabsah. Es sind zwei grundverschiedene Dinge, die einander nur ähneln. In den folgenden Kapiteln habe ich auch meine Erfahrungen aufgezeichnet, ebenso Vorbehalte, die mit beiden künstlerischen Energien zu tun haben. Von welchem Blickwinkel aus ich das schreibe, wird leicht zu erkennen sein.

Bohdan Kos

 


II

Die Talente des Orpheus sind als Gaben der Götter und Musen beschrieben. Und als Lernprozeß dem Prinzip der Nachahmung folgend: dem Zuhören der Naturgeräusche. Richter über die Musik sind die Bäume, Vögel, der Wind, wenn sie im Angesicht des Gesanges von Orpheus verstummen.

Von Kunsthandwerk ist nicht die Rede - alles hat seine Wurzel im Innern, im Holz, im Herz, im Göttlichen. Nicht Formen werden beschrieben, sondern Wirkungen.

Gerade Dichter berufen sich immer wieder auf den Sänger Orpheus, der nur verkümmerten Wert auf das Wort legte. Orpheus, behaupte ich, war Spontansänger, ein genialer Improvisateur, der die Elemente situative Spannung Sänger-Hörer mit Melodie, Wort und Geste, untermalt durch das Spiel auf der Leier, die wir im heutigen Theater finden, zusammenführte. Dabei mag der wichtigste Aspekt die Identität von Spiel und Spieler sein - dies rührt an die Ursprünge des Menschseins und überträgt sich letztendlich auf den Hörer.

Wenn dabei auch Abstraktionsprozesse eine Rolle spielen und das Wesen der Kunst überhaupt im Orpheus-Mythos beschrieben sein sollte, das Werden von Dichtung beschreibt der Mythos nicht.

Man braucht nicht einmal lange zu suchen - schon vor der Haustür müßte man darüber stolpern, würde man hierzulande nicht immer nach fremden Mythen schielen wie nach einer fremden Kindheit, wenn das auch seine Gründe haben mag: während der Klassik war es die Angst vorm Ketzerfeuer, die "Heidengeschichten" wiederzubeleben, später die Sehnsucht nach der ewigen Sonne oder die Scham vor dem Mißbrauch.

Gert Neumann in Bautzen


III

In der Edda werden an drei nicht zusammenhängenden Stellen die anthropologischen Phänomene beschrieben, die im Zusammenhang mit dem Entstehen von Dichtung stehen. Dabei kommt hauptsächlich dem Göttervater Odin, dem Eigenschaften wie Verwandlungsfähigkeit auszeichnen, die Rolle des Protagonisten zu: Odin stiehlt der Riesin Gunnlöd den als Dichtermet bezeichneten und von ihr bewachten Trunk. Odin erwirbt von Mimir die Eigenschaft der Weisheit, indem er ein Auge opfert und es in Mimirs Brunnen wirft. Odin hängt sich an einem Ast der Weltenesche Yggdrasyl auf, am neunten Tag erlöst er sich, springt auf die Erde und ist runenkundig.

Vor allem die erste Geschichte ist vielschichtig mit vielen Brüchen, Verlusten und Kämpfen. Sie beginnt mit der Verbrüderungsgeste der beiden sich bekämpfenden Göttergeschlechter Asen und Vanen, die in einen Topf spucken. Aus diesem Gemisch entsteht das Geschöpf Kvasir1, von bisher ungekannter Klugheit, ein Hoffnungsschimmer der Götter, die nun auf Harmonie durch Klugheit setzen und ihn aussenden, alle Wesen zu belehren. Sie findet ihren Fortgang in den Niederungen der Zwergenwelt, jener oft hilfreichen, aber ebenso listigen Gesellen, die Kvasir aus Neid erschlagen, aus seinem Blut mit Beimischungen von Honig Met brauen. Dieses Getränk macht weise und inspiriert zu Dichtungen.

Solche Neuerungen hält man besser geheim, ebenso den wahren Tathergang. Odin sendet seine Raben aus, um die Wahrheit zu erfahren. Die beiden Winzlinge Fjalar und Galar können ihre flinken Zungen schwer hüten und durch eine weitere Bösartigkeit - sie erschlagen den Riesen Gilling aus reinem Übermut und seine Frau dazu - kommt der Met durch den sich rächenden Riesensohn Suttung in dessen Hände, der ihn durch seine Schwester Gunnlöd bewachen läßt.

Eine Kette von Ereignissen, die ihren vorläufigen Endpunkt darin findet, daß der sagenhafte Met in einer Höhle selbst für Götter unzugänglich ist. Er wechselt also vollends aus der Götterwelt Asgard nach Utgard - der Unterwelt. Der Weg zu seiner Entstehung ist schon opferreich. Erst nach dem verlustreichen und nicht klärbaren Konflikt der Göttergeschlechter2 gibt es einen Moment des guten Willens, der von einer anderen Seinsebene zunichte gemacht wird. Aber aus dem Opfer entsteht etwas Neues. Es muß so gewaltig sein, daß es erst einmal sinnvoll ist, das Geheimnis zu hüten. Es zu lüften, bedeutet auch, sinnvoll damit umgehen zu lernen. Auf den Menschen bezogen, könnte man sagen, die Kraft zu dichten liegt noch in den Eingeweiden. Sie freizusetzen, ist einiges an Witz und List vonnöten und die Götter machen sich daran, das Unbekannte in ihren Besitz zu bringen. Welche Verrenkungen und Verwandlungen dazu nötig sind, zeigt die Kompliziertheit der Vorgänge. Odin3 geht nicht geradewegs, er wählt den Umweg über den Bruder Suttungs und über die Möglichkeit, sich das Gewünschte zu erarbeiten. Und er legt sich ein Preudonym zu: Bölverk. Auch das wird von Nutzen sein. Er setzt dessen Knechte außer Gefecht, in dem er sie um seinen Wetzstein - eine Neuerung im ländlichen Bereich - streiten läßt und bietet sich als Arbeitskraft an. Als Lohn bedingt er einen Schluck des Metes aus, jedoch der Besitzer des Metes ist zu nicht mehr bereit, als die Gefäße zu zeigen. Mit bloßer Fleißarbeit gewinnt man dieses hochprozentig-geistige Getränk nicht, aber man kommt ihm näher: es wird einen unter die Nase gehalten. Suttungs Bruder ist noch in Odins Schuld. Odin hieß ihn, den Berg mit seinem Bohrer4 zu durchbohren, hinter dem die Hüterin des Metes wohnt. Er bohrt, täuscht den Gott jedoch. Odin bemerkt es durch die Blasprobe: die Späne fliegen ihm in die Augen. Und auch, als der Berg durchbohrt ist, sich Odin in eine Schlange verwandelt, stichelt der Riese hinterher, um ihn zu töten. Ganz ungefährlich scheint es nicht zu sein, Dichter werden zu wollen. Da sind unkontrollierte Gewalten zu zähmen oder dienstbar zu machen, da ist Schläue nötig und nicht selten ein Werkzeug. Odin, auf der ganzen Reise sein wahre Identität verschweigend, nähert sich der Schönen Gunnlöd und erst, als er sie durch ihre Liebe zu ihm blind gemacht hat, gewährt sie ihm drei Schlucke des in der Höhle versteckten Metes. Der männliche Besitzer des Metes, die weibliche Bewacherin. Nur einer, der beide Energieformen integriert hat, mag in den Besitz des Gewünschten kommen. Odin, fast am Ziel, trinkt mit jedem Schluck eines der drei Gefäße aus, verwandelt sich in einen Adler und flieht. Aber Suttung verfolgt den verwandelten Gott, dessen Magen sich bläht. Und würde er sich nicht von einigen Schlucken erleichtern, der Riese würde ihn vor Eintreffen in der Götterfestung erwischen. Mit diesen Abfallprodukten, nicht von den Göttern gereicht, sondern gierig hinuntergeschluckt, wird man nicht Poet, sondern Graphoman. Die betrogenen Riesen kommen nach Asgard und fordern die Auslieferung Bölverks. Odin versichert, ihn weder zu kennen noch zu wissen, wo er sei.

Orfeus an der tschechisch-polnischen Grenze

 

Obwohl die Riesen mit dem Gebräu nichts anzufangen wissen, kommt ihnen die Bewacherfunktion zu. Archaische Kräfte hüten Geheimnisse.

Was dem Göttervater beim Raub des Dichtermetes ohne größere Opfer gelang, verlangt nun ein solches, um als Gegengabe etwas zu erhalten, das dennoch mehr sein müßte: als ein Auge. Das innere Auge der Weisheit. Das mehr sein müßte als das Leben. Erhängt und wiedergeboren. Als Schreibkundiger? Als Schamane? Runen waren - zumindest damals - mehr als Buchstaben. Sie enthielten den Kosmos Germanischer Religiosität.

Vorstellbar: Dichter sein, ohne zu schreiben? Manch einer nimmt einiges an Verwandlungen in Kauf, um Künstler zu werden, respektive Dichter. Dichter, haben sie sich nicht oft genug als Selbstverleugner, Täuscher und Lügner bezeichnet? Sie sitzen meist mit ihrem winzigen Schluck Met einsam in einem Raum, der der Höhle, wo Gunnlöd das Getränk bewacht, verdammt ähnelt. Und allzuoft stehen die betrogenen Riesen vor der Tür, verlangen ihren Tribut. Was, am Ende, außer Entbehrungen, haben sie davon, sich als Dichter bezeichnen zu dürfen? Was Orpheus als Ruhm in seinen besten Jahren das Leben versüßte, ist ihnen der Nachruhm, frühestens im hohen Alter. Wo Orpheus während des Gesanges in der Menge badet, kasteien sich Dichter in Einsamkeit. Der Sänger schöpft aus dem Überfluß - den Gaben der Musen und der Inspiration in der Natur. Seine Talente sind Geschenke der Götter. Der Dichter schöpft aus dem Mangel. Aus den schweißigen Mühen des Fleißes. Der Sänger - eine Sonne, der Dichter - ein Schwarzes Loch? Er wartet auf den Knackpunkt der Verwandlung - meist Zufallsprodukt oder Irrung. Das Gleichgewicht der Kräfte zwingt ihn in die Knie. Er versteckt sein Ich, um es wieder zu suchen. Gesang ist ein Instinkt, Dichtung ein Erwerb der Kulturgeschichte. Gesang ist materiell, Dichtung nährt sich aus dem immateriellen "es werde" und für den Wunsch der gottähnlichen Produktion aus dem Nichts heraus zahlt man seinen Preis, wenn man nicht zurück ins Leben kommt: ins Spiel, in den Gesang, ins Theater. Wenn die Hauptleser von Dichtung andre sein sollen als Juroren und Lektoren. Anstatt des orpheusschen Jubels voller Stadien allzuoft die barbarische Langeweile deutscher Dichterlesungen.

Der zweihebigen Skaldenverse mit Stabreim sind längst in einer ausgereiften literarischen Form überliefert, der Mythos vom Dichtermet5 in Prosaform. Und die Skalden, welche die Texte schrieben, schienen gewußt zu haben, wovon sie sangen.


IV

Odin, der listige Besorger des Dichtermets, Beschützer der Poeten. Zum Gott der Dichter und Gelehrten jedoch wird sein Sohn Bragi. Es deutet darauf hin, daß Entwicklungen in Gang sind, die in die nächste Generation übernommen werden als Kulturgut. So ist Orpheus ein Mensch - kein Gott. In den Pantheon ist er nicht aufgenommen worden - vielleicht auch, weil die Gabe des Gesanges in jedem schlummert.

Bragi und Odin, die Beschützer selbst, seit neun Jahrhunderten verleugnet, vergessen und somit verstorben. Man dichtete sich andren an: Orpheus aus einem fremden Geschlecht zum Beispiel, der dazu "nur" Sänger war. Die Verse jener deutschen Dichter, die von Orpheus inspiriert waren, tragen im Metrus die Melodie, oft eingezwängt in abzählbare Formen. Aber selbst ohne Wissen um diese Prozesse scheinen die mental dominierten Gedichte immer wieder die Oberhand zu gewinnen. Das "mutige Vorwärtsstürmen"6 der Germanen bildete "die Voraussetzung für das heutige wissenschaftliche Denken und ermöglichte ein kritisches Eindringen in die Welt der Materie".

Dichter, die auch sangen, gab es, aber sie sind in der Minderzahl und heute fast ein Kuriosum. Walther von der Vogelweide sang - auf deutschen Höfen, Francois Villon, ein Franzose, sang - in Frankreichs Kneipen. Die Romantiker sangen: Volkslieder. Brecht sang die Lieder Villons. Die Goldenen Zwanziger schrieben Hymnen auf Huren und Großstadtneurotiker. Entartet, hieß es wenig später. Das Wort "entartet" wurde ersetzt durch das Wort staatsfeindlich. Zuerst wurde der Sänger abgetrieben. Ihm folgten die Dichter. Am Anfang des neuen Jahrtausend kann man feststellen: Unter tausend deutschen Dichtern singt höchstens einer. Reden wir von einer aussterbenden Gattung? Der Sänger - zurückgetrieben auf die Mittelmeerinsel? Und die germanischen Götter? Sie sangen allabendlich. Beim Met. Einstimmig.

Bettina Wöhrmann


V

Orpheus Mutter verhindert, daß der Ekstasegott Dyonisos mit Orpheus in näheren Kontakt kommt. Das Ergebnis ist, daß Orpheus sich nicht verlieben kann und daß seinem Gesang eins fehlt: emotionale Tiefe. Er war ein schöner Sänger mit einem schönen Instrument. Ein Schönling, dem alles zufiel. Den der Größenwahn packte, weil er sich nichts hatte erarbeiten müssen. Auf der Höhe seines schon brüchig gewordenen Ruhmes traf er wiederum auf Dyonisos und forderte den Gott zum Sängerwettstreit heraus. Und verlor kläglich. Gesang ohne Tiefe, ohne untergründige, nicht in Noten und Worte zu fassende Zwischenebenen, bleibt glatt. Mit dem Besitz der dyonisischen Energie beginnt die Tragödie.

Der schmerzhafteste Verlust wird beschrieben im Gang durch Hel. Ein wahrhaft unfreundlicher Ort - im griechischen Mythos. Eine Art Hölle mit dem Skipper Charon als erste Schreckgestalt. Ganz anders das leuchtende Paradies des Christentumes mit Petrus am Tor. Oder Walhall, dem germanischen Kriegerhimmel, wo die Feier bei Met kein Ende findet. Oder die Möglichkeit der Wiederkehr in der bhuddistischen Reinkarnationslehre.

Betrachten wir Orpheus' Gang einmal nicht mit griechischen Augen: Eurydike, erlöst von den Strapazen des Jammerthales, wäre sie bereit gewesen zurückzukehren, zumal zu einem Mann, der sie enttäuscht hat, sitzenließ und in den Krieg zog? Und Orpheus? Es bedurfte des Verlustes, ihm die Augen zu öffnen, daß es Wichtigeres gibt als Siege: seien es nun künstlerische oder kriegerische.

Ab dieser Stelle ist Orpheus längst nicht mehr der Held des Mythos. Nur die einseitige Sicht erlaubt es, die Geschichte so patriarchal weiterzuerzählen. Auch Hades und Hel, welchen Grund hätten sie gehabt, Eurydike die Rückkehr, eine Reinkarnation zu verweigern? Aber Reinkarnation in Verhältnisse, die so waren, daß die Seele den Tod vorzog? Die Schlange, was war sie anderes als ein Teil von Eurydike selbst? War es nicht vielleicht so: Eurydike, in Gestalt eines Engels, begleitet Orpheus in Hel - wie anders hätte er es geschafft, so weit zu kommen? Und sie führt ihn wieder hinaus. Engel sind mitfühlend. Auch möchte sie ihm den Wunsch erfüllen: seinen Schmerz lindern. Das hieße, sich ein zweites Mal zu opfern. Wie jede Muse - eine ausgebeutete Liebhaberin.

Das Leben empfangen wir von einer Frau, meist sind auch die Totengötter weiblich. Sie nehmen, was sie gaben. Das scheinbar schwache Geschlecht scheint mit diesen Dingen vertrauter zu sein. Der Orpheus-Mythos entpuppt sich als patriarchal-verängstigter Blick. Orpheus sah Dunkelheit. "Zurückgekehrte" berichten von einem Licht, vom Einswerden. Leben ist Vereinzelung. Vereinzelung benötigt Verantwortung.

Und Charon? Er ist so jung und vital wie die Walküren! Charon - der Gott des Lebenswillens! Der die Grenze bewacht, daß man das Sein nicht allzu billig verläßt. Ihn löhnt man für die Überfahrt: Einen Tribut für Überdruß oder Schwäche. Für die Rückkehr ins Leben bezahlt er. Wem er viel gibt, der hat die Zähigkeit, am Leben zu hängen. Was gab er Orpheus mit auf der Rückkehr? Nichts. Was hielt Orpheus im Leben? Nichts. Nicht einmal die Trauer. Im Lied scheint sie so stark zu sein, daß sie alle mitriß. Ein Mißbrauch der Kunst? Oder des Wirkungsprinzipes Gefühl? Was er in seiner Kunst bewältigt, versagt sich im Leben. Echte Trauer meidet die Schaustellung. Sie verarbeitet und schließt die Möglichkeit eines Neuanfanges ein. Orpheus wiederholt.

In diesem Konflikt zwischen Sein und Schein habe ich mich an jeder Produktionsstufe wiedergefunden. Ich konnte wählen. Zwischen Gesang und Dichtung. Zwischen Kunst und Leben. Und hatte nie eine Wahl.

Gert Neumann

 

1 Vergleiche "Kwaß" - russisches vergorenes Sauergetränk. Der polnische Präsident Kwasniewski (übersetzt sowas wie "von Sauermann") müßte also ein direkter Nachfahre Kwasirs sein. Und an der etymologischen Schnittstelle stößt man auf die gemeinsame indogermanische Vergangenheit von Slawen und Germanen: in Worten wie Sohn - syn und Wolf - wilk (jeweils Polnisch), die auf die gleiche Wurzel zurückführen. Auch in Bräuchen - bei der Hausschwelle, die heilig ist oder dem Hufeisen, das vor bösen Geistern schützt.

2 Vermutet wird, daß die kriegerischen Asen und die Fruchtbarkeitsgötter Vanen zwei sich vermischende Völkerschaften darstellen. Während die Asen den Wortzauber (Runenzauber) benutzten, verstanden sich die Vanen auf Zaubergetränke.

3 Immerhin Chef-Gott, Zeuss der Germanen.

4 Erfindungen und Werkzeuge sind allenthalben vonnöten. Der Erfindungsreichtum der Ger-Mannen (Speer-Männer) ist somit schon in den Mythen belegt.

5 In der Prosaedda erhalten, "Germanische Götterlehre", Diederichs Gelbe Reihe, 1993, S. 178 ff.

6 Zitate aus "Odin. Ein Gott auf der Couch", Horst Obleser, Stendel 1993, S. 305

Orfeus-Gruppe an der Neiße, polnische Seite in Zgorszelec

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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