Rezension zu David Pfanneck am Brunnen

Das Habakuk Kästel

 

Zu Lublin unterm Jiddenthor


Kurz vor der Jahrtausendwende wurde noch ein Schatz ausgehoben: Chassidische Legenden, auf denen der Staub zweier Jahrhunderte lag. Was Fragen aufwirft, mehr als es Antworten dazu gibt - und geben wird. Denn der Verfasser ist schweigsam wie eine verschlüsselte Schatzkarte. Chassidische Weisheitsfabeln sollen es sein, übersetzt aus dem Jiddischen. Dabei zweifelt der Verleger Norbert Wojciechowski aus Lublin nicht nur ernsthaft an der Echtheit der Texte, sondern inzwischen auch an der Existenz des Verfassers David Pfanneck am Brunnen. Auch nach meinen Recherchen gibt es einen Bürger diesen Namens zumindest bis September '99 in Deutschland nicht. Vielleicht in der Bretagne, in der Schweiz, im United Kingdom oder in Israel. Was im Grunde genommen gleichgültig wäre. Denn die Geschichten sind gut. Wenn auch manchmal mit einem moralisierenden Beigeschmack und lehrhaft bis in die Knochen der Aufklärung. Was aufstöÿŸt, da wir uns aufgeklärt wähnen.

Die Geschichtchen aus'm "Stetl" handeln von Leuten wie Haukerdig-Glik, der sich vom Schmied seinen Buckel wegklopfen läßt, weil er einer Frau gefallen will und deswegen von seiner Angebeteten nicht angenommen wird, weil ihr im Traum erscheint, daß sie einen Buckligen heiraten wird. Oder vom Karger - einem Geizhals, dessen Haus zusammenbricht, weil er eine Linde fällt, da die unter ihr Sitzenden nicht den von ihm geforderten Schatten-Zoll entrichten. Der Cossid Chavaqquq erscheint und schlägt vor, aus dem Holz des geschlagenen Baumes "eine Wiege zu zimmern". Oder von der Schlemihlte - einer genialen Pechvögelin, der trotz guter Ideen alles mißlingt. Am Ende ist Trost gewiß, wenn auch nicht alle Wünsche aufgehen, da "die fehlgeschlagenen Bemühungen ... uns ein demütiges Herz zu geben vermögen." Der Autor versteht es, die weltlichen Dinge in die geistigen eingehen zu lassen.

Die andere Kategorie, Gleichnisse über den Chossid Chavaqquq oder den Seher von Lublin offenbaren eine andere Dimension des Autors, der sich nicht nur im Alltagsleben der Jidden, sondern sich auch in deren geistigen Sphären auskennt und Gleichnisse, Dispute zu spinnen vermag, spannende Frage-Antwort-Duelle mit ungewöhnlich poetisch-religiösen Lösungen, wenn der Seher von einem Talmid-Chacham (Vertreter einer religiösen Gegenströmung) gefragt wird: "Ist der Mensch die Krone der Schöpfung" und dieser ihm antwortet, daß der Uhu, von einem Löwen gefragt, was er tun könne, "daß aus den Fällen meiner Familie keine Pelzmäntel gefertigt werden" ihm antwortet: "Fliehe den, der von sich sagt, Mensch zu sein."

Wenn ich die Geschichten lese mit der Option, der Autor habe sie verfaßt, dann staune ich über die Detailtreue, die Mühe, eine versunkene Welt zu heben wie einen Schatz, den Spaß am intellektuellen Disput. Lese ich sie jedoch im guten Glauben an die Echtheit einer wie auch immer stattgefundenen ÿœberlieferung, so stoßen mir die moralinsauren Einschübe auf, die eine Absicht verraten, dann bemerke ich, daß die Chassiden die Guten sind, immer, und die andren meist bedrohlich. So selbstgerecht kann überlieferte Weisheit nicht sein, nur ein Autor, der, das mag ich hinnehmen, in seiner Bescheidenheit sich "zum Lobe SEINES Namens" zurücknimmt, nicht ohne die Duftmarke seiner Sprachgestaltung zu hinterlassen. Denn die Geschichten sind geschliffen und wirken wie aus einem Guß. Wenn mir auch der typisch jiddische Witz abhanden gekommen zu sein scheint, blitzt er doch ab und zu auf durch die Gestalt des Sehers, der neben Klugheit auch Klarheit, Frechheit oder Eulenspiegelei zur Erhellung der Umstände einsetzt. Natürlich nur "zum Lobe SEINES Namens". Und zu unserer Erbauung.

Das Habakuk-Kästel / Skarby Habakuka ist zweisprachig deutsch-polnisch in Lublin erschienen mit farbigen Aquarelldrucken des Autors, die in ihrer Pinselführung naiv-ungelenk, in ihrer Farbkomposition gekonnt sind und eine wunderbare Atmosphäre wiederzugeben verstehen. Daß die erste Auflage sofort vergriffen war, ist nicht verwunderlich.

Er schreibt den ganzen Tag, ohne aufzuschauen und dabei wird der Kaffee kalt.

Aber: wenn der Autor - ob nun eine Reinkarnation des Chossiden Chavaqquq oder nur ein begnadeter Geschichtenerzähler - aus der Gegend stammen sollte, wo diese Geschichtchen handeln, müßte er eigentlich wie die Wasserstellen dort „Zuraw - Ziehbrunnen“ heißen.

Dieter Kalka


Das Habakuk-Kästel / Skarby Habakuka, 25 chassidische Legenden, gesammelt, bearbeitet und illustriert von David Pfanneck am Brunnen. Paperback, 204 Seiten. Deutsch und Polnisch. Wydawnictwo Kerygma und Norbertinum, Lublin 1999, ISBN 83-85509-27-5, 83-86837-71-3, ca 30 Zloty / 22 DM

 

 

 

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