JAKUB MALUKOW DANECKI

DIE PROVINZ HEBT IHRE KÖPFE

Zur Generation der Apolitischen in Polen

Was hat der Grosse Knall '89 in der polnischen Kunst bewirkt? Da wir hier vorwiegend jüngere polnische Dichter und Schriftsteller präsentieren, ist es angebracht, diese Generation vorzustellen. Während die alten Hofkünstler ihre Privilegien mit der Marktwirtschaft und dem sich zurückschraubenden Staat verloren haben und nun die Krise der polnischen Kultur sowie das Fehlen interessanten Nachwuches proklamieren, verwirft die von der neuen Freiheit berauschte Jugend alle patriotischen Symbole und Stereotypen und damit auch die Hofkünstler selbst. Sie sucht nach Mitteln, eine nationale Identität zu artikulieren. Dabei sieht sie sich selbst als die "unerwünschte", "getrennte" oder "barbarische" Generation. Sie verkündet das Ende der literarischen Staatssklaverei und der höfischen Intrigen.

Die Generationskluft findet ihre Entsprechung im Niedergang des Warschauer Kunstdiktats. Wie ein Drache hebt die Provinz ihre Köpfe. Die wichtigsten Kunstmilieus mit ihren Zeitschriften sind bereits vor '89 entstanden, aber erst danach erreichten sie den Status von Kunstarbitern, die ihre Vision verbreiten. Dazu zählen Zeitschriften wie bruLion (Warszawa und Kraków), Czas Kultury (Poznañ), Tytul (Gdansk), Borussia (Olsztyn), Kresy (Lublin), Opcje (Katowice) und FA-art (Bytom), Kartki (Bialystok), Studium (Kraków), Pogranicza (Szczecin), Dykcja (Wroclaw) und Fronda (Warszawa). Die pilzartige Vermehrung dieser Zeitschriften wird vom Katalog "Kulturzeitschriften in Polen" der Stefan-Batory-Stiftung verfolgt.

Um ein Kontrastbeispiel zu nehmen: Czas Kultury und bruLion teilten bereits seit ihrer Samisdat-Gründung Mitte der 80er die Auffassung, dass die Kunst entpolitisiert werden muss. Beide haben junge Künstler gefördert. Aber Czas Kultury sieht sich als Nachfolger der polnischen Literaturgiganten, hütet die gepflegte Sprache und ausgesuchte Schreibstile sowie eine ausgefeilte Literaturkritik. bruLion dagegen hat sich durch Provokation jeder Art ausgezeichnet. Ihr Ziel ist es, jede Regel zu brechen, Umgangssprache und Vulgarismen zur Kunst zu erheben.

Charakteristisch für alle diese Zeitschriften ist erstens ihre Ablehnung vergangener Kunstgenerationen und eine Wendung zum Alltag, zweitens ihre Lokalorientierung.

Sowohl den nobelpreisgekrönten Czeslaw Milosz und Zbigniew Herbert betrachtete man eine ganze Weile als Schnee vom gestern. Die "Barbaren" haben Frank O‘Hara, der '86 seinen Durchbruch in Polen erlebte, zum Idol erklärt. Mit O‘Hara kam die Entdeckung, dass man sogar eine Speiche poetisch schildern kann. Diese Art zu schreiben half dieser Generation, die Kunst zu entpolitisieren. Man schilderte entweder die ernsthafte Ordnung oder die Vulgarität der "einfachen" Dinge. Seit '89 tobt dazu noch eine Diskussion zwischen "Europäern" und "Nationalisten", daher findet man ehemalige O‘Haristen auch in den Reihen von "Nationalisten". Also: Rückkehr zur Politik. Ein anderer Trend ist, dass die apolitische Poesie zu ihren Wurzeln zurückkehrt. Klassiker der Nachkriegszeit und Individualist Tadeusz Rózewicz befindet sich plötzlich dank der "unerwünschten" Generation auf dem Gipfel seines Ruhmes. Noch ein klassischer Dichter der Nachkriegszeit, Stanislaw Grochowiak, dessen Thematik sich auf den Tod fixierte und der deshalb genauso wie Rózewicz schon immer "einfach", unangepaßt und somit modern war, scheint auf dem Weg zu sein, von eben dieser Generation aus der Versenkung geholt zu werden.

Die Zeitschriften der "Getrennten" befassen sich mit der Regionalkultur und -geschichte: Kresy mit Ostpolen, Borussia mit Ostpreussen, Opcje mit Oberschlesien. Sie veröffentlichen Texte des eigenen Kunstmilieus. Dabei verstehen sie sich als Teilnehmer im nationalen Diskurs, ein Diskurs, der aufgrund von Distributionsschwächen nur eine virtuelle Existenz führt und häufig nur das Umrühren in der eigenen Suppe zulässt. Denn nur ein sturer Sammler, der vorm Reisen keine Angst hat, ist in der Lage, alle diese Zeitschriften in die Hand zu bekommen.

Der Provinzstatus dieser Zeitschriften ist spürbar in ihren gelegentlichen Attacken gegen Warschau und, seit kurzem, gegen jede Art Zentralismus. Das Neue ist eben, dass auch andere Zeitschriften als gleichgestellte Gegner verstanden und angegriffen werden. Man orientiert sich nicht mehr an der Zentrale, eher umgekehrt, beobachtet einander und wirft sich gegenseitig Kliquenwirtschaft vor. Wichtiger aber sind die Diskussionen um Klassizismus, Moderne und Konservatismus, um sich in dieser Landschaft der Stile zu positionieren.

Abschliessend möchte ich noch die "Unerwünschten" erwähnen, die nach dem Grossen Knall die Chance bekamen, an den Disputen teilzunehmen. Die Schriftstellerin Natasza Goerke aus Hamburg und die Dichterin Samanta Kitsch aus NYC oder Janusz Rudnicki aus Hamburg und Zbigniew Kruszyñski aus Schweden publizieren wieder in Polen. Einige polnische Emigranten wie Manuela Gretkowska aus Paris oder Isabella Filipiak aus NYC sind zurückgekehrt. Sie sind genau so apolitisch wie ihre Generation.

 

Jakub lernte ich im Haus des Buches in Leipzig kennen. Es war einer der deutsch-polnischen Diskussionsabende und danach saßen wir im Cafe an einem Tisch mit dem Chef des polnischen Schriftstellerverbandes Gresciak und Jakub sagte plötzlich: "Dich kenne ich! Ich habe dich auf dem Schreibtisch meines Vaters herumliegen sehen." Er meinte damit meine Kassette mit der Reihe Paßfotos auf dem Cover, die ich seinem Vater in Nowy Sol gab. Das war eines der bemerkenswerten polnischen Poesie-Marathons im Kulturhaus, wo die Theatergruppe von Edward Gramont arbeitet(e) und dieses jährliche Treffen organisierte: es ging von nachmittags bis morgens und Fans sowie Poeten (die sich für den Publikumswettbewerb bewarben) reisten aus ganz Polen an.

Seit diesem Abend bin ich mit Jakub befreundet und zeitweise, wenn es sich ergibt oder wenn es nötig ist, arbeiten wir zusammen an Übersetzungen oder Projekten.

Jakub wurde in Poznan geboren und ging in den 80ern ins Exil. Er lebte in Deutschland, Schweden und den USA. Seit einigen Jahren wohnt er in Leipzig.

Obigen Essay schrieb Jakub für die Auswahl polnischer Literatur im Muschelhaufen 2001. Im "Lubliner Lift" sowie auf der gleichnamigen CD, in der Anthologie "Geschrieben in Deutschland" sowie in verschiedenen Zeitschriften sind seine Gedichte publiziert. In den 90ern erhielt Jakub ein Arbeitsstipendium des Freistaates Sachsen.

 

 

 

 

 

 

 

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